Die MILLER’schen Indizes, ein „Buch mit sieben Siegeln“?
Lit.: E. Offermann, Kristalle und ihre Formen. Bd.1, KristalloGrafik Verlag 2004.
Beitrag von A. Brill, Weilheim-Remetschwiel
Teil 1
Jeder Mineralienfreund stößt irgendwann bei der Bestimmung seiner Mineralien auf die berühmt „berüchtigten“ MILLER’schen Indizes. Sie gehen auf den englischen Mineralogen W.H. MILLER (1801-1880) zurück. Die wenigsten können damit etwas anfangen, weil sich die allgemeine Literatur kaum damit befasst, diese Zahlen zu erklären. Zahlreiche idealisierte Kristallzeichnungen in Fachbüchern und Fachzeitschriften weisen diese Zahlen auf, um die Flächeneinordnungen an einem Kristall zu beschreiben.
Im Allgemeinen nützen diese Indizes dem Sammler recht wenig, da die gefundenen Kristalle meist zu klein sind und in ihrer Ausbildung nicht dem Kristallideal bzw. Idealkristall entsprechen, da sie verzwillingt, durch Wachstumsstörungen verzerrt, mit anderen Formen kombiniert oder parallel verwachsen auftreten. Es gibt auch zahlreiche Mineralien, die auf Grund ihrer Kristalltracht (Kristallausbildung) ein anderes Kristallsystem vorspiegeln. Diese Tatsache irritiert viele Sammler zusätzlich, z. Beispiel: Arsenkies (Arsenopyrit) kristallisiert monoklin, sieht aber rhombisch aus, (Arsen)Polybasit tritt meist in hexagonalen Kristallen auf, kristallisiert aber ebenfalls monoklin. Ein drittes Beispiel: Zahlreiche Karbonate sind rhombisch ausgebildet, werden aber dem trigonalen System zugeordnet. Man sehe sich weitere Beispiele aus dem Walenta-Buch (1992) an. Die idealisierten reinen Kristalle treten nahezu kaum auf. Wir haben es somit mit so genannten Realkristallen zu tun. Die Schwierigkeit für den Sammler besteht zunächst darin, diese Realkristalle auf ihre Idealform oder zumindest auf einen idealisierten Realkristall zu reduzieren, um seine typischen Kristallflächen zu erkennen. Dies geschieht am besten, wenn man deren „Elementarzelle“ betrachtet. Sie ist, ähnlich wie in der Biologie, die kleinste messbare Einheit eines Kristalls. Die Größe der Elementarzelle wird als Gitterkonstanten angeben. Die Idealformen sind nach 7 Kristallsystemen mit 32 Kristallklassen geordnet. Es wird empfohlen, sich die wichtigsten Kristallformen in einem entsprechenden Fachbuch anzueignen. Hier die gegenwärtig gültigen Kristallsysteme und ihre kurze Charakteristik:
1. Kubisches System (a1=a2=a3 / alle Winkel 90°)
2. Tetragonales System (a1= a2, c / alle Winkel 90°)
3. (ortho)rhombisches System (a, b, c /alle Winkel 90°)
4. Trigonales System (a1=a2=a3 ,c /α = β = 90°, γ = 120°), 3-zählig
5. Hexagonales System (a1=a2=a3 ,c /α = β = 90°, γ = 120°), 6-zählig
6. Monoklines System (a, b, c / α = γ = 90°, β ungl. 90°)
7. Triklines System (a, b c / α, β, γ ungl. 90°)
Abk.: a, b c = Achsen im dreidimensionalen Achsenkreuz, α, β, γ sind die dazu gehörigen Winkel im Achsenkreuz
Da viele Kristalle mit anderen Formen kombiniert auftreten, z. Beispiel mit Pyramidenflächen, so sollen diese vorerst nur eine Rolle spielen, wenn es Oktaeder bzw. so genannte Dipyramiden sind, also geschlossene Formen. Einfache Pyramiden sind so genannte offene Formen, sie benötigen noch ein Basispedion (= eine einzelne Grundfläche), um eine geschlossene Form zu bilden. Sie treten meist in Kombination mit einer anderen offenen Form (z. Beisp. mit Prismenflächen) auf.
Die Kristalle (Elementarzellen) werden in ein Achsenkreuz transferiert, das die 3-Dimensionalität erkennen lässt. Die Achsen werden i. allgem. mit a, b und c bezeichnet, wenn es um unterschiedlich lange Achsenabschnitte (eines Kristalls) handelt. Die entgegen gesetzte Achsenrichtung (nach hinten) ist mit negativem Vorzeichen versehen. Sind die Achsenabschnitte eines Kristalls (Würfel= Hexaeder oder eines hexagonalen Prismas) gleich lang, so kann man sie auch mit a1=a2=a3 bezeichnen. Die Achsen weisen jeweils einen Winkel von 90° bzw. bei trigonalen/hexagonalen Körpern 120°auf, bei den letzten Systemen (monoklin, triklin) ist ein oder alle 3 Winkel ungleich 90° (s. oben). Bedingt durch die drei Achsen werden die Miller’schen Indizes im Normfall auch nur 3 Zahlen aufweisen, es sei denn man beschreibt die drei gleichwertigen Achsen eines trigonalen bzw. hexagonalen Körpers und deren c-Achse. Dann kann man auch 4 Zahlen einsetzen. Von diesen vier Zahlen wäre aber die 3. Zahl überflüssig, da sie der Beziehung der 1. und 2. Achse entspricht (siehe unten). Treten 3 Zahlen auf, bezeichnet man sie als Indexstripel. Im Normfall gilt: Die erste Ziffer/Zahl wird der a-Achse, die 2. Zahl der b-Achse, die 3.Zahl der c-Achse zugeordnet (siehe unten).
Teil 2
Das kubische System
Die Einstiegsform sei ein Würfel als Elementarzelle (Hexaeder). Die Würfelfläche, die nach der a-Achse (a1) orientiert ist, erhält das Tripel "100". Erklärung: Da die Orientierung der Flächen im Achsenkreuz indiziert (angezeigt) werden, so wird jede Fläche auch auf die anderen beiden Achsen bezogen, indem angegeben wird, ob diese Fläche die anderen Achsen (b, c) schneidet oder nicht. Die Fläche der a1-Achse schneidet nur die a1-Achse (daher die „1“), während sie die b- und c-Achse (a2, a3) quasi im „Unendlichen“ schneidet, da sie sich parallel zu diesen Achsen verhält. Sie bekämen daher das „Unendlich-Symbol ∞“. Insofern hieße nun das Tripel: 1 :∞ : ∞ . Um aber das Unendlichsymbol „∞“ zu entfernen, griff MILLER zu einem “Trick“, indem er die reziproken Werte (Kehrwerte) angibt, d.h. 1/1 : 1/∞ : 1/∞ . Der „Wert“ 1/∞ ist gleich „Null“ (0). Diese Fläche erhält daher die Indizierung „1 : 0 : 0“ oder in der Kurzschreibweise: "100". Die Indizes 1 und 0 gelten für alle Kristallsysteme.
Die Fläche der b-Achse (a2) schneidet nur die b-Achse, nicht aber die a-Achse (a1) oder die c-Achse (a3). Daher ist die Indizierung dieser Fläche nach dem gleichen Prinzip mit "010" zu bezeichnen. Die Fläche der c-Achse (a3) schneidet nur diese Achse, nicht aber die anderen beiden Achsen, daher die Indizierung: "001" . Die „1“ gibt im allgem. die maximale Länge einer Achse (eines Kristalls) an.
Mit den 3 Tripels "100, 010, 001" wird somit das hexagonale System beschrieben (Abb.1-3).
Die rückwärtigen Flächen (eines Würfels) werden mit einem Minus-Zeichen über der entsprechenden Index-Zahl geschrieben, die zur jeweiligen Achse gehören.
Bei einem Rhombendodekaeder (rhombische Flächen, dodeka = 12, eder = Fläche) = „rhombischer 12-Flächner“ – kubisches System, gibt es Flächen, die nicht nur eine Achse, sondern 2 Achsen am maximalen Ende eines Achsenabschnittes (=1) schneiden. So schneidet die Fläche „110“ die a-Achse und die b-Achse bei „1“, nicht aber die c-Achse , daher die “0“; die Fläche „101“ die a-Achse und die c-Achse, die Fläche „011“ die b-und c-Achse, jedoch nicht die a-Achse (Abb. 4).
Abbildung 4: Rhombendodekaeder mit der Fläche 110 zwischen der a- und b-Achse, die Fläche zwischen der a-Achse (vorn) und der c-Achse (oben) erhält das Tripel 101.
Ein Oktaeder des kubischen Systems besteht aus 8 gleichschenkligen Dreiecken, deren Achsenabschnitte gleich lang sind. Es ist daher nicht mit der tetragonalen Dipyramide (siehe tetragonales System) identisch, bei der die Basiskante kürzer bzw. länger als die Seitenkante ist. Jede Dreiecksfläche schneidet alle drei Achsen. Daher ist jede Fläche mit „111“ zu indizieren. Das gleiche kann mit einem Tetraeder (kubisches System) durchgeführt werden, der nur 4 gleichschenklige Dreiecke aufweist. Die 3 Achsen gehen jedoch durch den Mittelpunkt jeder Kante ! (Abb. 5, 6).
Abb. 5: Oktaeder und Tetraeder mit den indizierten Flächen. Die negativen Achsen bzw. Flächen werden mit einem oberen Querstrich versehen. Beim Tetraeder befindet sich die a-Achse in der Mitte vorn (schwarzer Punkt) und verläuft nach hinten zur nicht sichtbaren Kante, die b-Achse seitlich rechts nach hinten links (Punkt) ! , die c-Achse verläuft von oben (weißer Ring) nach unten, dort wo die rechte Oktaederspitze hinzeigt. Um die Achsenlagen besser zu verstehen, ist der Bau eines Modells anzuraten, siehe Abb. 6.
Abb. 6: Tetraeder-Schnittmuster zum Ausschneiden auf Karton. An den Kanten mit einem Messer einritzen und die Falze verkleben. Seitengröße bitte selbst festlegen, z.B. 6-8 cm , Winkel je 60°
Im kubischen System gibt es aber auch Formen, deren Flächen nicht bei maximalem Achsenabschnitt (= 1) schneiden, sondern bei einem Bruchteil dessen. Als Beispiel soll das Tetrakishexaeder (tetra = vier, kis = mal/-multipliziert, hexa = sechs, eder = Fläche : 24-Flächner) dienen. Hier wird die (210)-Fläche auf den Achsenabschnitt der b-Achse (= 1) ausgerichtet. Die c-Achse wird nicht geschnitten (= 0). Die a-Achse wird jedoch nur bei der Hälfte (= ½ ) des maximalen Achsenabschnitts geschnitten. Da MILLER Umkehrwerte (= reziproke Werte) einsetzt, wird die „halbe Strecke = ½ als Kehrwert = 2/1 oder 2 betrachtet, so dass die bezeichnete Fläche als „210“ indiziert wird (Abb. 7).
Abb. 7: Tetrakishexaeder mit der "210"-Fläche
Wird der Tetrakishexaeder stärker an den Würfel „angepasst“, d. h. die Pyramidenflächen werden flacher (breiter), so entstehen Flächen mit den Indizes „310“ bzw. „410“, da die a-Achse nun nicht bei ½ , sondern nur bei ⅓ bzw. bei ¼ der maximalen Länge geschnitten wird.
Gleiches gilt auch für das Pentagondodekaeder (= 12 Flächen mit je einem 5-Eck). Auch hier wird die charakteristische Fläche mit „210“ indiziert. Weitere Indizierungen wären „310“, und „320“. Diese hängen von der Ausbildung des Pentagons ab.
Artikel wird fortgesetzt